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100 Tage "Autonome Pfalz"
N.N.

Schifferstadt im "Kometenjahr" 1910

Aus einer neuen Veröffentlichung über den Schifferstadter Wirt, Weinhändler und Separatistenführer Georg May

Von Matthias Spindler

Wie bereits berichtet, haben die beiden pfälzischen Historiker und Separatismus-Experten Gerhard Gräber und Matthias Spindler in diesem Frühjahr eine biographische Arbeit über einen Separatistenführer aus Schifferstadt vorgelegt: "Junger Herr vor 1914: Georg May, der spätere Separatist, und sein Heimatort Schifferstadt in der Zeit bis zum 1. Weltkrieg". Diese Teilbiographie entstand aus einer Anregung des früheren Bürgermeisters Josef Sold, bei der Realisierung wurden die Autoren unterstützt von der Sparkasse Vorderpfalz. Die 60 Seiten umfassende Broschüre im DIN A 4-Format ist nur in einer kleinen Bibliotheksauflage erschienen und im Buchhandel nicht zu erwerben. Zum Abdruck im Schifferstadter Tagblatt stellte Matthias Spindler einige Passagen aus dem Werk zusammen, die über die Person von Georg May hinaus ein aufschlussreiches Bild vom Leben in Schifferstadt in den Jahren unmittelbar vor dem 1. Weltkrieg vermitteln. Thema im folgenden, nach einführenden Bemerkungen über Georg Mays Rolle in der jüngeren Geschichte der Pfalz, sind Vorgänge im "Kometenjahr" 1910.

Das gute Wollen...

"'Bären-May' der pfälzische Separatist oder Das gute Wollen": Unter diesem Titel veröffentlichte Georg May, 42 Jahre alter Weinhändler in Schifferstadt, 1929 seine Memoiren. Es war die Rechtfertigungsschrift eines Menschen, der des Lebens nicht mehr froh wurde, weil er für sein früheres politisches Engagement jetzt mit gesellschaftlicher Ächtung gestraft wurde.
   Im Herbst 1923, in den Wirren von Inflation und Rheinlandkrise, hatte er sich den pfälzischen Separatisten angeschlossen, die mit Unterstützung Frankreichs ihr Heil in der Abtrennung vom Deutschen Reich suchten. Im Handumdrehen rückte der weltkriegserfahrene Georg May damals an die Spitze der separatistischen Miliztruppe und besetzte mit ihr der Reihe nach die größeren Städte der Region. In der dadurch gewaltsam geschaffenen "Autonomen Pfalz" versah der Schifferstadter dann das Amt des Bezirkskommissars für Speyer.
   So lange die Herrlichkeit währte, denn aufgrund internationalen Drucks und wachsenden Widerstands in der Bevölkerung verschwand der neue Pfalz-Staat bereits im Februar 1924 wieder von der Landkarte. Da Georg May als einziger prominenter Separatist der Pfalz nicht ins Ausland ging und seine einstige Parteinahme auch noch öffentlich verteidigte, hatte er unter Verachtung und hasserfüllten Nachstellungen von Behörden und vielen Mitbürgern besonders zu leiden.
   Es traf einen Pfälzer aus alteingesessener, angesehener Schifferstadter Familie. Vater Jakob May 3. gehörte zuerst als Wirt und Bierbrauer, später als Immobilienunternehmer zur vermögenden Oberschicht des Ortes. Sohn Georg May allerdings hatte schon mit vierzehn Jahren Schifferstadt für eine Ausbildung zum Weinküfer verlassen und war fast ein Jahrzehnt später erst wieder zurückgekehrt: 1909, nach einer ausgedehnten Zeit "auf der Walz" und anschließender Ableistung des Wehrdienstes bei der kaiserlichen Marine in Kiel. Im Frühjahr 1910 heiratet er und übernimmt mit seiner Frau Änne die ehemals väterliche Wirtschaft "Zu den Drei Mohren" in Schifferstadt.

Der "Kumet" schaut vorbei

Die Sterne über Schifferstadt leuchten in jenen Frühlingsnächten in einer ganz besonderen Konstellation: 1910 ist "das Kometenjahr". Aus der Tiefe des Weltraums hat sich ein alter Bekannter angekündigt, der Halleysche Komet, der sich alle paar Jahrzehnte der Erde nähert. Abergläubischen Gemütern gilt er seit jeher als Vorbote schlimmer Ereignisse, wie Pest oder Krieg.
   Weiß der Himmel, warum diesmal gleich mit dem Allerschlimmsten gerechnet wird. Im Februar 1910 bereitet der "Schifferstadter Anzeiger" (heute "Schifferstadter Tagblatt") auf den drohenden Weltuntergang vor: Im Moment seiner engsten Annäherung (in nur scheinbar sicherer Entfernung von Millionen von Kilometern) werde die Erde vom Schweife des Kometen erfasst. Dieser enthalte giftige Gase, geeignet, alles Leben auf dem Planeten auszulöschen. In der Nacht vom 18. zum 19. Mai sei es so weit.
   "Die Sache wird aber nicht so schlimm werden", macht die Zeitung ihren Lesern zwar Mut, unter Hinweis auf abweichende Ansichten "anderer Sternkundiger". Dennoch sehen viele Menschen, nicht nur in Schifferstadt, dem ausgelobten Termin in einer Mischung aus Unbehagen und demonstrativem Galgenhumor entgegen.
   Am 11. Mai 1910 weicht sie blanker Panik. Im Gasthaus zum "Stern" in Schifferstadts Nachbardorf Waldsee putzt das knapp siebzehnjährige Dienstmädchen Anna Kochner an diesem Nachmittag Fenster - als sich gegen halb fünf Uhr plötzlich der Himmel verfinstert, Dunkelheit ausbricht fast wie in der Nacht. Ein Phänomen, das überall in der Pfalz auftritt und den erschrockenen Beobachtern den gleichen Schluss aufdrängt: "Eewe geht die Welt unner!"
   Wie sich nach bangen Minuten herausstellt, sind es doch bloß die Begleiterscheinungen eines ungewöhnlich schweren Unwetters. Der liebe Gott hat sich mit seinen irdischen Gefolgsleuten einen üblen Scherz erlaubt; vielleicht als Denkzettel für deren wenig christlichen Kleinmut. Anna Kochner, wiewohl reinen Gewissens und auf das Ende gefasst, vergisst das Vorkommnis ihr ganzes Leben lang nicht mehr. Ihrem Enkel Matthias Spindler hat sie oft davon erzählt.
   Der Komet selbst passiert die Erde dann ohne jede negative Auswirkung. Nicht mal etwas von ihm zu sehen bekommen die Schaulustigen, die sich in Schifferstadt am Bleichhause versammeln. Drei Nächte zuvor noch, "Anzeiger"-Verleger und -Schriftleiter Emil Geier hält es für die Nachwelt fest, überstrahlte der streunende Himmelskörper "mit seinem rötlich-gelben Lichte alle übrigen Sterne".
   In einer Hinsicht jedoch wird der "Kumet", wie man ihn am Ort ausspricht, seinem schlechten Ruf vollauf gerecht: Das Unwetter vom 11. Mai ist keine Einzelerscheinung, das Jahr 1910 bleibt den Schifferstadtern als ein durchweg verregnetes im Gedächtnis haften.
   Und zumindest das Frühjahr 1910 als eine Periode nachhaltigen Unfriedens im (damals noch) Großdorf - wieder einmal, denn dazu bedarf es keines dahergelaufenen Kometen.
   Diesmal jedoch mischt bei den Streitereien um die Lokalpolitik ein neuer Machtfaktor mit: Seit den Kommunalwahlen vom November 1909 sind die Sozialdemokraten erstmals im Gemeinderat vertreten. Mehr noch: Weil die anderen Parteien in der Bürgermeisterfrage (wie so oft) heillos zerstritten sind, kann die SPD Zünglein an der Waage spielen. Als Belohnung für ihre Unterstützung des Kandidaten Sebastian Eckel darf sie dann den Posten des Bürgermeister-Stellvertreters besetzen.
   Es dauert nicht lange, und wegen einiger kecker satirischer Seitenhiebe in der sozialdemokratischen Fastnachtszeitung "Schifferstadter Schnupduwack" kommt es im Frühjahr 1910 zu Tumultszenen im Gemeinderat; nachzulesen in der 1998 erschienenen Stadtchronik "Schifferstadt: Geschichte und Geschichten".
   Denn die Mehrheit im Ratsgremium stellen nach wie vor die bürgerlich-bäuerlichen Interessenvertreter, und in Sachfragen halten die zusammen wie Pech und Schwefel, wenn sie ihre Interessen bedroht sehen. Wenn's sein muss, auch gegen die bayerische Obrigkeit der Pfalz, wie in der Reaktion auf lästige kleine agrarische Plagegeister beispielhaft deutlich wird.

Mäuse in Massen

   "Nachdem Hamster, namentlich auch Feldmäuse massenhaft auf dem Felde auftreten, beschließt der Gemeinderat, für das Einfangen nach der Fruchternte Prämien zu gewähren und zwar 5 Pfg. pro Hamster und 1 Pfg. pro Maus." Als sie Ende Juli 1909 leichten Sinnes diese Entschließung fassten, waren sich die Mitglieder des alten Gemeinderats über die Folgen wohl nicht im klaren gewesen. Mit Mäusen Mäuse machen - das ließen sich die Schifferstadter nicht zweimal sagen!
   Binnen zweier Monate schleppten sie feldgraues Getier in schier unfassbaren Massen in einer Turnhalle in der Ortsmitte an, wo die amtliche Zählung stattfand: Endergebnis 230.894 Stück, das sind statistisch gesehen, auf Basis der Volkszählung von 1910, genau 27,4612274 Mäuse pro Kopf der Schifferstadter Bevölkerung, Greise und Säuglinge inbegriffen.
   Ob da mal nicht in fremden Gemarkungen gewildert wurde? Oder von Spitzbuben jeglichen Alters ein Schleichweg gefunden wurde, sich ihre Beute mehrfach anrechnen zu lassen? "Manche Mäuse starben sogar zweimal im Tage", munkelt im Rückblick der "Schnupduwack", die rote Fastnachtspostille...
   Schifferstadts Gemeinderäte jedenfalls hatten jetzt ein Problem. Weniger mit der Entsorgung der vielen Mauseleichen als mit den Prämien für deren Ablieferung. Sie beliefen sich auf das nette Sümmchen von 2308,94 Reichsmark, plus 17 Mark und 15 Pfennige für 343 tote Hamster. Dafür hätte die Gemeinde bequem drei zusätzliche Feldhüter ein Jahr lang beschäftigen können.
   Woher das Geld nehmen und den Bauern dabei nichts wegnehmen von ihrem Etatposten "Feldhut und landwirtschaftliche Interessen"? Zehn Landwirte wussten Rat. Auf ihren Antrag hin beschloss das Ratsgremium, es war immer noch das alte, die Kosten "auf die Hauptrechnung der Gemeinde zu übernehmen, da auch der Erlös der Feldjagd, deren Wild sicher zu 2/3 von Privatgrundstücken genährt wird, ganz der Gesamtgemeinde zufällt".
   Dass dem Beschluss eine so ausgeklügelte (um nicht zu sagen spitzfindige) Begründung beigegeben wurde, war schon verdächtig. Speyers Bezirksamt als königlich bayerisches Aufsichtsorgan über die Gemeindeverwaltungen des Amtsbezirkes lässt sich davon auch nicht beeindrucken.
   Alarmiert vom Waagenfabrikanten Jean Schotthöfer, mit 70 bis 80 Arbeitern in seinem Betrieb kein kleiner Steuerzahler in Schifferstadt, fordert es die Rücknahme des Beschlusses, weil er der gesetzlichen Grundlage entbehre. Der Gemeinderat, es ist Ende November 1909 bereits der neu gewählte, "kommt dem Verlangen des Bezirksamtes nach, beschließt aber, einen Zuschuss aus der Gemeindekasse an die Nebenrechnung 'Feldhut und landwirtschaftl. Interessen' im Betrage von 2200 M. zu leisten".
   Dem bauernschlauen Manöver zum Trotz beharren die Aufsichtsbeamten auf ihrem Rechtsstandpunkt. Schifferstadts Gemeindevertreter scheint das nur noch anzuspornen, den ihren durchzusetzen. Im Frühjahr 1910 legen sie gegen die Anweisung des Bezirksamtes, auch die landwirtschaftliche Zweckentfremdung öffentlicher Gelder unverzüglich rückgängig zu machen, Beschwerde bei der Regierung der Pfalz ein, die ihren Sitz gleichfalls in Speyer hat.
   Dass sie sich dort eine weitere Abfuhr einhandeln, vermag die Hitzköpfe in Schifferstadt nicht abzukühlen. Nun erst recht will man's wissen! Also wird die letzte Instanz angerufen, Bayerns Verwaltungsgerichtshof im fernen München mit dem Mist behelligt, den allzu viel Kleinvieh in der vorderen Pfalz verursacht hat.
   Vor tönend großen Worten schreckt man dabei nicht zurück. Erachtet der Gemeinderat durch die Ablehnung seitens der Pfalz-Regierung doch "das der Gemeinde gesetzlich zustehende Selbstverwaltungsrecht für verletzt". Fast überflüssig zu erwähnen, dass die Herren Verwaltungsrichter anderer Ansicht sind. Für die Beseitigung der Mäuseplage auf ihren Feldern müssen Schifferstadts Bauern nun doch selbst aufkommen.
   Es ist nicht das einzige Mal in diesem Frühjahr 1910, dass sich die bayerischen Regierungsbeamten in Speyer mit einer flammenden Beschwerde aus Schifferstadt zu befassen haben.

Lehrer-Streik an der Kirchenorgel

Auslöser ist die Entscheidung des Schifferstadter Gemeinderates, einer Eingabe der (damals aus der Gemeindekasse bezahlten) örtlichen Lehrerschaft um Gehaltsaufbesserung nicht oder nur unzureichend stattzugeben. Da etliche Ratsmitglieder zudem ein "überaus gehässiges Verhalten" gegenüber den Schullehrern an den Tag legten, beschließen die Abgeblitzten in ihrer Verbitterung kurzerhand, sämtliche mit dem Lehramt gemeinhin verbundenen "Nebenverrichtungen" ab sofort einzustellen. Dazu zählen Tätigkeiten als Dirigent von Gesangvereinen und, vor allem, die Verpflichtung zum Orgelspielen in der Kirche.
   Und wirklich, "heute früh war Kirche ohne Orgel. Kinder u. Kirchendiener bekleiteten", wie ein erboster Kirchgänger an St. Jakobus in vermeintlichem Hochdeutsch es brieflich dem Bischof von Speyer meldet. Den brauchen die Schifferstadter aber gar nicht, um es ihren pflichtvergessenen Lehrern in gleicher Münze heimzuzahlen.
   Im Nu wird eine Bürgerversammlung einberufen, sinniger Weise unter Vorsitz eines Vertreters jener kommunalen "Bürgerpartei" unter Ex-Bürgermeister Rudolf Jacobus, die das Hüten des Gemeindesäckels zu ihrem Prinzip erhoben hat. "Ca. 600 Personen aus allen Ständen" drängen sich in den Saal vom "Wilden Mann" und lassen ihrer Empörung freien Lauf. "Das Resultat der Diskussion gipfelte in dem unzweideutigen Verlangen, daß alle Lehrer versetzt werden müßten. Es wurde in diesem Sinne eine Petition an die kgl. Regierung beschlossen und unterschrieben."
   Eine Radikallösung, die bezeichnend ist für die leichte Erregbarkeit der Schifferstadter Volksseele, im Regierungsgebäude zu Speyer aber nur Kopfschütteln hervorgerufen haben kann. Von Zwangsversetzungen unter der Lehrerschaft ist nichts bekannt geworden, und ein Jahr später wird einer der von der Bürgerversammlung am liebsten Geschassten, Michael Sattel 11., anstandslos zum Hauptlehrer befördert.
   Aber auch da, als der Orgelstreik der Lehrer längst vorüber und der Volkszorn darüber verraucht ist, finden die Schifferstadter wieder ein Haar in der Suppe. Sattels Beförderung erfolgte aus Anlass des neunzigsten Geburtstags von Bayerns Prinzregenten Luitpold; doch ansonsten ist Schifferstadt dabei leer ausgegangen. In Haßloch dagegen "hat es Orden genug gegeben. Altbürgermeister, Kriegervereinsvorstand, 2 Straßenwärter, 1 Waldwärter, Rettungshaus und Eisenbahner erhielten solche", beklagt sich ein "Bürger, der viel Bedauern im Stillen hört", in einem Leserbrief an den "Schifferstadter Anzeiger": "Man möchte sich fragen: Was haben denn die Schifferstadter verschuldet, daß sie so ausgeschaltet sind?"
   Ein Blick in das höheren Orts angesammelte Aktenmaterial - erst zukünftigen Historikern möglich - hätte ihnen auf die Sprünge helfen können. Beklagte sich Speyers Bezirksamtsvorstand doch noch im Jahr 1915 in einem internen Schreiben bitterlich über den "in der Gemeinde Schifferstadt wie vielleicht nirgends anderswo zu beobachtenden Geist der Unbotmäßigkeit und Widerspenstigkeit"....
   Denn in der Zwischenzeit, in den Jahren 1912/13, hatten sich die Reibereien zwischen den Schifferstadtern und den staatlichen Behörden zu nie dagewesener Schärfe gesteigert. Hauptkonfliktfelder waren, nicht zum ersten Mal, das kommunale Schulwesen und die Wasserversorgung im Ort.

Päpstlicher als die Staatsregierung

   Schifferstadt vor dem 1. Weltkrieg ist eine Gemeinde in rasantem Wachstum. Seit 1890 hat sich die Einwohnerzahl fast verdoppelt, und mit ihr ist die Zahl der Kinder sprunghaft gestiegen, die vor Ort die Schulbank drücken. Neue Schulhäuser müssen für sie gebaut werden, sehr zum Leidwesen kostenscheuer Gemeinderäte, deren Widerstand jedes Mal aufs Neue erst durch das beharrliche Drängen der Aufsichtsbehörde in Speyer überwunden wird.
   Noch brisanteren Sprengstoff birgt anno 1912 eine weltanschaulich begründete Entscheidung, die Schifferstadts Ratsgremium mit 10 gegen 5 Stimmen, aber gestützt auf das gleichlautende Votum einer Bürgerversammlung trifft: Nach und nach sollen in der katholischen Volksschule des Ortes alle bislang weltlichen Lehrerinnen durch klösterliche Lehrkräfte vom "Institut der Armen Schulschwestern" in Speyer ersetzt werden.
   Bei so viel Frömmigkeit in öffentlichen Schulstuben sieht selbst Bayerns Staatsregierung schwarz. Das Kultusministerium in München, von Schifferstadt in letzter Instanz angerufen, erlaubt lediglich eine begrenzte klösterliche Ergänzung des Lehrkörpers. Der Gemeinderat lässt sich davon nicht beirren und beginnt damit, dann wenigstens die gelegentlich freiwerdenden Stellen an seiner Schule mit Ordensschwestern aus Speyer zu besetzen.
   Zwei Nonnen sind so 1913 bereits in Schifferstadt tätig, eine dritte soll auf eine zusätzliche Lehrstelle berufen werden, deren Errichtung aufgrund gestiegener Schülerzahlen erforderlich wird. Als die Regierung der Pfalz ihre Berufung ablehnt, antwortet der Rat mit einem Ultimatum:
   Entweder werde die Schwester doch noch genehmigt, oder die ihr zugedachte Stelle gestrichen. Letzteres bedeute freilich eine Zusammenfassung der "4 unteren Knabenklassen in 3 Klassen mit je durchschnittlich 70 Schülern". Im Klartext heißt das: Der Befriedigung frommer Gefühle opfert das "schwarze" Schifferstadt notfalls das Wohlergehen der eigenen Schuljugend, die man in überfüllten Klassenräumen gnadenlos zusammenpfercht!
   Denn es ist keine leere Drohung, die hier ausgesprochen wird. Da der Staat sich nicht erpressen lässt, wird sie, nur die Gemeinderäte der SPD sind dagegen, konsequent in die Tat umgesetzt. Bei einer dermaßen geringschätzigen Vernachlässigung des Nachwuchses braucht nicht zu verwundern, wenn Bezirksamtsvorstand Wagner nach dem Besuch zweier Schifferstadter Schulklassen im Herbst 1913 säuerlich in den Akten vermerkt: "Fast alle Kinder trinken Bier, einzelne rauchen."

Leitungswasser - nein danke!

Mit mindestens genauso großer Verstocktheit reagieren Schifferstadts Ratsherren auf die zahlreichen Versuche von Bezirksamt und auch dem einheimischen Gewerbeverein, den Bürgern die Wasserversorgung aus der Leitung schmackhaft zu machen. Schifferstadt verfügt zwar schon, lange vor Speyer, über elektrischen Strom aus einem eigenen E-Werk, aber sein Trinkwasser schöpft man immer noch wie im Mittelalter aus dem Brunnen - einer Vielzahl öffentlicher wie privater Bohrungen, die modernen hygienischen Anforderungen nur selten genügen.
   Für den Gemeinderat ist das noch lange kein Grund, sich in kostspielige Investitionen zu stürzen: "Den Zeitpunkt für Erbauung einer Wasserleitung" erachtet das Gremium im Februar 1912 einmal mehr "als verfrüht, da zu einer solchen bei dem größten Teile der Einwohnerschaft noch Abneigung besteht." Was sich dann an einem Sonntag im April 1913 bei einer vom Bezirksamt angesetzten Wasser-Informationsveranstaltung eindrucksvoll bestätigt.
   Kaum hat Amtschef Wagner die Versammlung eröffnet, erhebt sich im bis auf den letzten Platz gefüllten "Wilden Mann"-Saal "eine derartige Unruhe", dass die von auswärts angereisten Sachverständigen erst nach eineinhalb Stunden zu Wort kommen. Gehör finden sie ohnehin nicht, und eine Abstimmung unterbleibt wohlweislich. Das Wasserwerk-Projekt dürfte damit "endgültig abgetan" sein, freut sich ein Berichterstatter im "Schifferstadter Anzeiger".
   Tatsächlich dauert es noch an die zwanzig Jahre, bis in Schifferstadt das Wasser endlich aus der Leitung kommt. Die Baumaßnahmen fallen dann freilich mitten in die Notzeit der Weltwirtschaftskrise, und die Umlegung der Kosten trifft den einzelnen Bürger von daher besonders hart. Aber das ist ein anderes Stück Schifferstadter Geschichte.


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