RAUM FÜR UNERLEDIGTE GESCHICHTE(N)
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Hambach und Demokratie
100 Tage "Autonome Pfalz"
N.N.



Gerhard Gräber
Matthias Spindler

Untauglicher Versuch zur Rettung einer Heldenerzählung

Eine Erwiderung auf Matthias SCHNEIDERS  "kritische Anmerkungen" zu unserem Buch "Die Pfalzbefreier" in Pfälzer Heimat, Jahrgang 57 Heft 1, 2006.

Zunächst sei uns gestattet, Erstaunen zu äußern über das Vorgehen der "Pfälzer Heimat". "Die Pfalzbefreier" sind Ergebnis jahrelanger historischer Primärforschung zum Themenbereich des pfälzischen Separatismus 1923/24, wobei wir uns nach der Darstellung und Analyse der Vorgeschichte in "Revolverrepublik am Rhein" (Landau 1992) diesmal mit den beiden Hauptaktionen des gewaltsamen Abwehrkampfes befassen, dem Attentat auf Separatistenpräsident Franz Josef Heinz in Speyer und der Erstürmung des separatistisch besetzten Bezirksamtes von Pirmasens im Januar und Februar 1924. Die "Pfälzer Heimat" lässt nun nicht etwa einen Forscherkollegen die Studie rezensieren, sondern einen interessierten Laien, der bisher nur als Vortragsredner in Sachen Separatismus in Erscheinung getreten ist. Dafür hat er sein Wissen hauptsächlich aus der Literatur zum Thema zusammengetragen – ein fragwürdiges Wissen bei einem Thema, dessen Überlieferung von politischer Propaganda und Legendenbildungen Jahrzehnte lang geprägt worden ist. Es hindert Matthias Schneider nicht an einem forschen Total-Verriss unserer Arbeit: "nicht offen im Sinne einer umfassenden Objektivität geforscht"; "Beispiele von einseitig ausgewerteten, unterschlagenen und sogar verfälschten Quellen"; "typisch für die gesamte tendenziöse Aufarbeitung des Untersuchungsgegenstandes" und so weiter. Was uns Schneider damit unterstellt, sind Todsünden für jeden gewissenhaft tätigen Historiker. Darauf bleiben wir die Antwort nicht schuldig.
1. Schneider vermisst in unserer Darstellung die Würdigung der angeblich so breiten politischen Basis des antiseparatistischen Widerstandes in der Pfalz. Pardon, wir haben uns in diesem Buch, wie selbst unserem Kritiker nicht entgangen ist, auf "die beiden herausragenden Gewaltaktionen von Speyer und Pirmasens"1 konzentriert, und da spielten Abwehrkämpfer aus "einem bestimmten rechtsgerichteten Milieu"2 nun mal die Hauptrollen; ganz ohne unser Zutun, das von Schneider suggeriert wird ("grenzt man den Kreis der Täter und Hintermänner ... ein"3). Dass der Widerstand gegen die Separatisten "umfangreicher und vielschichtiger war", haben wir dem Leser dabei keineswegs "vorenthalten"4. Örtliche Abwehraktionen wie in Lambrecht oder Schifferstadt, die Schneider unter Bezug auf "zahlreiche Ortschroniken"5 meint aufzählen zu müssen, werden S. 23f. in "Die Pfalzbefreier" nicht nur erwähnt, sondern auch, in der gebotenen Kürze, analysiert. Ihre detaillierte Darstellung sei einer künftigen Veröffentlichung zur separatistischen Eroberungsphase in der Pfalz vorbehalten, denn dazu gehören sie weit überwiegend. Im Falle von Schifferstadt ist es bereits geschehen durch einen Beitrag von Matthias Spindler in der dortigen Ortschronik6, der von Schneider, obwohl in "Die Pfalzbefreier" mehrfach zitiert, offenbar übersehen wurde.
Die von ihm uns zugeschriebene Gesamteinschätzung des Abwehrkampfes in der Pfalz als eine bloße Schöpfung bayerischer Regierungsstellen7 ist von daher völlig abwegig; auch bereits im Hinblick auf den Bezirksamtssturm von Pirmasens, dessen originär lokalen Entstehungsgründe von uns ausführlich gewürdigt werden.
2. Genausowenig haben wir die "Straf- und Greueltaten der Separatisten ausgeblendet"8; Formulierungen wie ("Die Pfalzbefreier" S. 24): "ließen ... ihre Wut in schweren Misshandlungen an den Festgenommenen aus", "Ausweisung ins Rechtsrheinische, verfügt von der Separatistenregierung in eigener Machtvollkommenheit", "das überfallartige Auftauchen ortsfremder Horden, die aussahen wie Straßenräuber und sich oft auch so benahmen" lassen an Deutlichkeit wohl nichts zu wünschen übrig. Und auch der von Schneider hervorgehobene separatistische "Doppelmord an den beiden Ludwigshafener Arbeitern Drehner und Volz"9, bei dem er sogar einen Archiv-Aktenbestand anführt (den einzigen in seinen Anmerkungen10), ist in Matthias Spindlers Beitrag zur Schifferstadter Ortschronik in aller Deutlichkeit behandelt worden.11 Allerdings, das verschweigt Schneider oder er weiß es nicht, verdankten Willi Drehner und Hans Volz ihren gewaltsamen Tod nicht ihrer Arbeiter-Eigenschaft (und damit möglicherweise der Zugehörigkeit zum "linken politischen Spektrum", auf die Schneider bei seiner Erwähnung der Abwehraktivitäten in Altrip aus durchsichtigen Gründen verweist12), sondern der Mitgliedschaft in einer als abtrünnig angesehenen Ludwigshafener Separatisten-Gruppierung.
Wie Schneider zu dem Schluss kommen kann, derartige Übergriffe würden von uns "als Kollateralschäden eines gewaltsamen Putsches offenbar hingenommen"13, bleibt sein Geheimnis. Spürbar freilich wird die Absicht einen Popanz aufzubauen: Gräber und Spindler als verkappte, weil unter dem Deckmantel der Wissenschaft auftretende Parteigänger der Separatisten. Eine Infamie, die auf ihren Urheber zurückfällt.
3. Denn ebensowenig sind wir zu einer Glorifizierung des Abwehrkampfes in der Pfalz bereit. Eben dies aber ist das kaum verhüllte Anliegen unseres  Kritikers. Offen zum Ausdruck kam es im Januar 2003, als auf Schneiders Initiative hin am Gebäude des "Wittelsbacher Hofs" in Speyer, Tatort des Attentats auf Separatistenführer Heinz-Orbis 79 Jahre zuvor, wieder eine Gedenktafel angebracht wurde, auf der zwei seinerzeit selbst ums Leben gekommene Attentäter zu Helden erklärt werden: "Für die Freiheit der Pfalz fielen ... Franz Hellinger und Ferdinand Wiesmann"14.
Schneider spricht von “Patriotismus und Pflichterfüllung”. Dass es auch völlig unbeteiligte Opfer gab, bleibt unerwähnt. Wichtiger war Schneider vielmehr, dem Spektakel noch historische Authentizität zu verleihen durch den Auftritt eines Vertreters des Bundes Oberland in historischer Kluft. Das bayerische Freikorps hatte 1924 einen Teil der Attentäter gestellt, darunter der “gefallene” Hellinger. Man könnte diese Inszenierung als folkloristische Geschmacklosigkeit durchgehen lassen, wären da nicht erstens der Bund Oberland und eben jener Franz Hellinger mit Hitlers Putschtruppen vom November 1923 marschiert und gäbe es nicht zweitens noch heute die Traditionsvereinigung “Freikorps und Bund Oberland”, bei deren alljährlichen Gedenkfeiern zur Erinnerung an die Oberschlesienkämpfe von 1921 auch rechtsextremistische Redner auftreten.15
4. In ein solches Geschichtsbild passt natürlich auch nicht unser Befund von der Rechtsradikalisierung des gewaltbereiten antiseparatistischen Widerstandes. Schneider glaubt, unsere differenzierte Darstellung mit einem allgemeinen Verweis auf örtliche Widerstandsaktionen, Protestversammlungen gegen Separatisten und mit Wahlergebnissen der NSDAP widerlegen zu können. Dabei verkennt er, dass diese Widerstandsaktionen der ersten Putschwochen gerade die Vereinzelung und Zufälligkeit der militanten Separatistenabwehr zeigen. Erst als sich gegen Ende des Jahres 1923 das politische Blatt wendet, beginnt ein breiter politischer, eben nicht militanter Widerstand der pfälzischen Parteien und gesellschaftlichen Organisationen. In dieser Phase bemüht sich jetzt auch der bayerische Staat unnötigerweise um ein gewaltsames Zeichen und schickt rechtsextremistische Kräfte über den Rhein um Heinz und möglichst viele Mitglieder seiner Putschregierung zu töten. Schneider entgeht diese Differenzierung. Für ihn ist Widerstand gleich Widerstand, egal ob zu Beginn der Ruhrbesetzung Anfang 1923 gegen die Franzosen, gegen die Hoffmann-Aktion im Oktober 1923, am Anfang des Separatistenputsches oder um die Jahreswende 1923/24; egal ob Fahnen geraubt werden, Menschen getötet oder eine politische Kundgebung abgehalten wird. Vor allem sein Verweis auf die “Hoffmann-Aktion”, den er auf unsere ausführlichste Darstellung in “Revolverrepublik am Rhein” stützt, zeigt, dass er nicht richtig versteht, was er liest, oder eben nicht verstehen will. Denn gerade der komplizierte Verlauf der “Hoffman-Aktion” offenbart die Brüchigkeit der politischen Positionen in der Pfalz angesichts der desolaten Wirtschaftslage nach Abbruch des passiven Widerstandes.16
Auch Schneiders Hinweis auf Wahlergebnisse der Nationalsozialisten in der Pfalz zeugt von einem sehr instrumentellen Umgang mit Fakten: zunächst zitiert er falsche Prozentzahlen (nämlich die der Wahlberechtigten und nicht die der abgegebenen Stimmen: 5,7% und 1,9%) und unterschlägt, dass es erhebliche regionale Unterschiede gab. So waren Pirmasens und Zweibrücken (26%) regelrechte Hochburgen mit über 40% aller pfälzischen NSDAP-Wähler, obwohl die wahlberechtigte Bevölkerung dort nur ca. 15% der gesamten Pfalz zählte.17  Außerdem fanden diese Wahlen im Mai bzw. Dezember 1924 statt, also in einer Phase der politischen Beruhigung, während die frühe nationalsozialistische Bewegung  eher im Herbst 1923, in der existentiellen Krise der Weimarer Republik auf einem Höhepunkt gewesen war.
Abgesehen davon berührt ein Verweis auf eine vermeintlich mangelnde Bedeutung der Nationalsozialisten in keiner Weise unsere Feststellung, dass sich in einer bestimmten Phase der gewaltsame Widerstand gegen die Separatisten auf nationalsozialistische Aktivisten beschränkte. Ob nun das rechtsextremistische Spektrum groß oder klein war, sagt ja nichts darüber aus, ob die Militanten aus diesem Milieu stammten. Gerade dies haben wir aber an konkreten Taten und Personen gezeigt. Folglich würde die von Schneider behauptete Bedeutungslosigkeit der NSDAP noch mehr unterstreichen, dass der gewaltsame Widerstand in der von uns beschriebenen Phase auf radikale Extremisten begrenzt war.
5. Bezüglich unserer Analyse der Motive der Attentäter wirft uns Schneider weiter vor, wir hätten eine Interviewaussage eines damaligen Helfers beim Attentat selektiv wiedergegeben und das Motiv des Patriotismus unterschlagen. “Wir fühlten uns als Soldaten, wir sahen unsere Heimat in Gefahr und glaubten uns verpflichtet, handeln zu müssen.”18 So zitieren wir den Mitattentäter. Dieser Satz enthält nichts anderes als das Motiv des Patriotismus. Nur weil wir das  Wort Patriotismus, das im weiteren Verlauf des Interviews verwendet wird, nicht zitieren, sollen wir also das Motiv unterschlagen haben? Das wäre als lächerliche Wortklauberei zu werten, wenn es nicht auf den politisch bedenklichen Kern in Schneiders Kritik verweisen würde.
Für ihn folgt aus dem Motiv “Patriotismus” zwingend die Attentatshandlung. Patriotismus wird bei ihm zu einer Art Mantra, das die Tat gleichsam heiligt. Patriotismus taugt aber nicht zur hinreichenden Bedingung, denn der Begriff alleine erklärt rein gar nichts, bleibt eine leere Phrase. Auch die Separatisten, vor allem Heinz,  reklamierten für ihr Agieren durchaus patriotische Motive und zugleich gab es viele Separatistengegner, die sich als Patrioten sahen, aber nicht im Traum daran gedacht hätten deshalb zur Waffe zu greifen. Auch die Rathenau-Mörder, die aus dem gleichen politischen Milieu wie ein Teil der Heinz-Attentäter kamen, sahen sich als Patrioten.19 Damit Patriotismus zu einem konkreten Handlungsmotiv werden kann, bedarf es weiterer, entscheidender Überlegungen und Haltungen. Eben die Einschätzung, dass die Separatisten Verräter seien, deren Verrat am eigenen Blut ohne wenn und aber gesühnt werden müsse (Feme), oder dass ein deutliches Fanal gegen diesen Verrat gesetzt werden müsse (Propaganda der Tat), oder aber dass man sich  im Kriegszustand gegen die Besatzer befinde, und der Feind, hier die als Handlanger der Franzosen wahrgenommenen Separatisten, mit allen Mitteln bekämpft werden müsse.
6. Die Einschätzung der Situation als Kriegszustand teilt Schneider mit den Attentätern und rechtfertigt in distanzloser Weise deren Vorgehen als soldatische Pflichterfüllung. Aber ein gefühlter Kriegszustand ist noch lange kein tatsächlicher, auch wenn die französische Ruhrbesetzung durchaus Züge einer kriegerischen Besetzung im Frieden trug. So wie Schneider den Historiker Gerd Krumeich als Kronzeugen für seine Sicht in Anspruch nimmt, vereinfacht er und unterschlägt dessen wichtige Einschätzung, dass “bürgerliche und konservative Gruppen in Deutschland” sich zwar der “Kriegsmetaphorik” bedienten, aber “Aufrufe zur Insurrektion, Sabotage und irgendeiner Ausweitung des ‘passiven’ Widerstandes keine Rolle” spielten. “Dies blieb”, so Krumeich, “einer kleinen Minderheit von Aktivisten vorbehalten”.20 Die große Mehrheit der Bevölkerung konnte also sehr wohl unterscheiden zwischen Kriegsmimikry und  wirklichem Krieg. Das Denken der Attentäter war das Denken einer radikalen Minderheit, deren Existenz auf Kampf als Lebenssinn gründete.
Überhaupt sieht Schneider die rechtsradikalen Freikorpsverbände in den Anfangsjahren der Weimarer Republik als wichtige Stützen der Staatsgewalt an im Kampf gegen “zahlreiche innere und äußere Feinde”21. Es entspricht zwar den Tatsachen, dass sich die frühen republikanischen Regierungen der Freikorps als Instrumente zur Bekämpfung linksextremer Aufstände und für Grenzkämpfe im Osten bedienten, aber bisher hat jede kritisch reflektierende Geschichtsschreibung zur Weimarer Republik dieses fragwürdige Bündnis zumindest als Problem gesehen. Und spätestens nach dem Kapp-Putsch 1920 und der offiziellen Auflösung der Freikorps sammeln sich deren Mitglieder in rechtsextremen Kampfbünden, von denen viele sich der nationalsozialistischen Bewegung anschlossen. Schneider deutet geschichtsrevisionistisch die republikfeindlichen, antidemokratischen Kampfbünde in staatserhaltende Kräfte um.
So ist es auch nicht verwunderlich, wenn er sich auf einen Autor aus dem Diskurs der neuen Rechten bezieht, auf den ehemaligen Generalmajor der Bundeswehr Schultze-Rhonhof, über dessen Machwerk “Der Kieg, der viele Väter hatte” in der FAZ wie folgt geurteilt wird: “Schultze-Rhonhofs dürre Bilanz stellt die Ergebnisse der seriösen Forschung auf den Kopf. Als die eigentlich Schuldigen am Zweiten Weltkrieg erscheinen hier Frankreich und Großbritannien.”22
7. Eher belustigend, weil auf dem rechthaberischen Streitniveau von Schuljungen, ist da schon Schneiders Versuch unserer Feststellung den Boden zu entziehen, dass das sogenannte Fristenmotiv in der Planung des Attentats keine Rolle gespielt habe, sondern nachträglich zu anderen Zwecken konstruiert worden sei. Demzufolge sei das Attentat auf Heinz ein Versuch gewesen vor Ablauf der 10-Tage-Frist, nach der die Rheinlandkommission die registrierten Verordnungen der Autonomen Pfalz hätte automatisch in Kraft treten lassen, etwas Spektakuläres zu unternehmen um eventuell diese automatische Folge abzuwenden, die als eine staatsrechtliche Annerkennung des separatistischen Gebildes interpretiert wurde. Zwar weist Schneider mit Recht daraufhin, dass der englische Journalist Gedye in seiner Darstellung der Ereignisse dieses Motiv für das Attentat schon in seiner englischen Version von 1930 erwähnt.23  Es war aber der Essener Rechtsanwalt Friedrich Grimm, Strafverteidiger in zahlreichen Fememordprozessen, der 1931 das Motiv juristisch ausarbeitete und so für die Attentäter eine Art vermeintlicher Staatsnothilfe als Rechtfertigungsgrund konstruierte. Und Grimm war es auch, der für die deutsche Ausgabe Gedyes, die 1931 erschien, das Vorwort schrieb.
Dass Gedye schon vor Grimm die Fristenlegende in die Welt gesetzt hat, ändert aber entgegen dem Triumphgeheul Schneiders keinen Deut an unserem Befund, dass dieses Motiv für die Attentäter keine Rolle gespielt hat. Denn es taucht in zeitgenössischen Quellen genausowenig auf wie in den zahlreichen Berichten von an Planung und Durchführung des Attentatskommandos Beteiligten, die 1930 entstanden sind. Erst nach Grimm (und Gedye) findet es Eingang in die Darstellungen des Attentats und allein darauf kommt es an.
Das Konstrukt des Fristenmotivs zeugt dabei ohnehin von einer schier unfassbaren politischen Naivität. Selbst wenn England keinen Widerspruch gegen die Registrierung eingelegt hätte, wäre ein möglicherweise Inkrafttreten der Verordnungen der Autonomen Pfalz doch keine völkerrechtliche Anerkennung dieses Gebildes gewesen, das hätte nicht von der Rheinlandkommission ausgehen können. Und wenn eine Anerkennung der Autonomen Pfalz durch alle Besatzungsmächte politisch gewollt gewesen wäre, hätte das Attentat als rechtsrheinischer Überfall eher als Argument für die Anerkenung gedient, als dass es diese hätte verhindern können.
Schneider hält den journalistischen Bericht Gedyes für eine “Quelle von ganz besonderer Bedeutung”24 und wir würden ihn bewusst unterschlagen, was ihm als Beweis dafür dient, dass wir insgesamt “tendenziös” arbeiten würden. Ist es Schneiders Eifer, der bekanntermaßen blind macht und der ihn übersehen lässt, dass wir Gedye sehr wohl erwähnen und darlegen, warum er gerade als Quelle nicht taugt?25
8. Am meisten stört Schneider unsere Deutung der antiseparatistischen Gewaltakte als frühe Vorboten nationalsozialistischen Terrors: das findet er geradezu absurd. Sein Geschichtsbild ist klar: Die soldatisch ehrenvollen patriotischen Helden aus den Kampfbünden, die für den Erhalt des Vaterlandes Kopf und Kragen riskierten, haben nichts zu tun mit der kleinen verbrecherischen Gang um Hitler, die dann plötzlich auftauchte, in einem günstigen Moment das Volk verführte und ins Verderben stürzte. Was die Helden Schneiders leider nicht verhindern konnten, weil sie teilweise, wie Edgar Jung, selbst zu Opfern wurden.
Schneider ist zuzustimmen, wenn er die Gewaltaktionen als Folgen der mentalen Verrohung durch den 1.Weltkrieg und den Auseinandersetzungen in der Nachkriegszeit deutet. Das steht doch aber nicht im Gegensatz zu unserer Deutung, sondern wechselt nur die Perspektive. Schneider bestreitet ernsthaft  die Legitimität der Rekonstruktion historischer Entwicklungen. Hat etwa auch der Hitler-Putsch von 1923 nichts mit 1933 zu tun? Eine ganze Reihe der Attentäter von Speyer entstammten Verbänden, die hier mitgewirkt hatten und eigentlich von ihrem Auftraggeber, dem bayerischen Staat, verboten waren. Und  Schneiders Rekonstruktionsverbot hieße doch auch: die Machtübernahme der Nationalsozialisten müsse rein aus der Zeit von 1933 gesehen werden und dürfe nicht als Vorstufe für 1939 genommen werden?
Damit kein Missverständnis aufkommt. Wir behaupten keineswegs eine unausweichliche Zwangsläufigkeit historischer Entwicklungen. Das wäre in der Tat Unsinn, denn Geschichte ist als ein offener Prozess zu sehen, der zu jedem Zeitpunkt einen neuen Verlauf nehmen kann. Das entbindet uns aber gerade nicht davon im Nachhinein zu prüfen, wo bestimmte Entwicklungen einsetzen oder vorscheinen.
Oder geht es hier etwa darum, dass das rechtskonservative und deutschnationale Denken und Handeln in der Weimarer Republik sauber vom nationalsozialistischen Denken und Handeln getrennt werden soll, eine Trennschärfe, die es so eben nicht gibt? Dahinter scheint ein heutiges politisches Interesse zu stecken, nicht das Streben nach historischer Erkenntnis.
Auf diesem Hintergrund kann man wie Schneider auch nichts Anstößiges darin erkennen, wenn das Massaker von Pirmasens auf einer Ansichtskarte als „Krematorium und Blutbad der Separatisten“ bezeichnet wird. Die zynische Verherrlichung der Vernichtung von Menschen ist faschistisch in Sprache und Denken, was sonst? – Für Schneider freilich ein „absurder Zusammenhang“26.
9. Dass Schneider mehr als die Hälfte überhaupt wissen möchte, wie er in der Überschrift seiner Kritik behauptet, ist zu bezweifeln. Ihn interessieren die Separatisten ja nur insoweit sie Verbrechen begangen haben, nicht was sie politisch umtrieb, ihre Motive und Ziele.
Schneider will nicht die ganze Wahrheit, er will nur seine Wahrheit: Die Verehrung heldenhaften Sodatentums.

Anmerkungen
 1 Matthias SCHNEIDER: Wer nur die Hälfte erfährt, weiß gar nichts. In: Pfälzer  
    Heimat, Jahrgang 57 Heft 1, 2006, S. 20.
 2 SCHNEIDER ebd.
 3 SCHNEIDER ebd.
 4 SCHNEIDER ebd.
 5 SCHNEIDER ebd.
 6 Matthias SPINDLER: Einer fiel aus dem Separatistennest. Schifferstadt und die
    Autonome    Pfalz 1923/24. In: Schifferstadt. Geschichte und Geschichten, hrsg.  
    von der Stadt, Schifferstadt 1998, S. 215ff., zu den antiseparatistischen Unruhen
    dort S. 224ff.
 7 SCHNEIDER, a.a.O.
 8 SCHNEIDER S. 23.
 9 SCHNEIDER ebd.
10 Vgl. die gesammelten Anmerkungen bei SCHNEIDER, S. 24.
11 SPINDLER, a.a.O. S. 215 u. 227f.
12 SCHNEIDER, a.a.O. S. 20.
13 SCHNEIDER S. 23.
14 „Die Rheinpfalz“ Lokalteil Speyer v. 10.1.2003, vgl. a. „Speyerer Morgenpost“ v.
      10.1.2003.
15 Vgl. „Freitag. Ost-West-Wochenzeitung“ Nr. 20 v. 19.05.2006.
16 Vgl. GRÄBER/SPINDLER: Revolverrepublik am Rhein. Die Pfalz und ihre
      Sepratisten. Landau 1992, Kap.14 S.379-571.
17 Vgl. Hans FENSKE, Aufmarsch unterm Hakenkreuz. Die pfälzischen
      Nationalsozialisten bis zum 30. Januar 1933. In: Die Pfalz unterm Hakenkreuz,
      hrsg. von Gerhard NESTLER und Hannes ZIEGLER, Landau 1993, S.11-36; hier
      S.31.
18 Vgl. GRÄBER/SPINDLER: Die Pfalzbefreier. Ludwigshafen 2005, S. 83.
19 Vgl. Martin SABROW: Der Rathenaumord. Rekonstruktion einer Verschwörung
      gegen die Republik von Weimar. München 1994
20  Gerd KRUMEICH , Der „Ruhrkampf“ als Krieg. In: KRUMEICH/SCHRÖDER, Der
      Schatten des Weltkriegs. Die Ruhrbesetzung 1923. Essen 2004, S. 9-24; hier    
      S.19.
21  SCHNEIDER, S.23.
22  Christian HARTMANN: Der Generalsblick. Abstruses zur Vorgeschichte des 
       Zweiten Weltkriegs. In: FAZ Nr. 275 vom 26.11.2003, S.8.
23  G.E.R. GEDYE: The Revolver-Republic. London 1930 („First published in October,
       1930“), S.220f. Deutsche Ausgabe: Köln 1931, S. 227. Das Vorwort zur  
       deutschen Ausgabe hat „Prof. Dr. Grimm“ geschrieben: „Essen, im Februar 1931“.
24  SCHNEIDER, S.22
25   Die Pfalzbefreier, S.179, Anm.121
26    SCHNEIDER, S.23








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