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Hambach und Demokratie
100 Tage "Autonome Pfalz"
N.N.

Gerhard Gräber/Stefan Schaupp
Ein Rückschlag für die Demokratie? Zu Prof. Dr. Hans Fenskes

Entmythologisierung des Hambacher Festes

Der Befund, dass das Hambacher Fest aus geschichtspolitischer Absicht glorifiziert werde, klingt wohltuend nüchtern und Fenskes Mahnung, Geschichte nicht allzu sehr zum Objekt heutiger Interessen zu machen, möchte man gerne beipflichten.
Aber Fenske hat auf dem Weg zu diesem Fazit einige Äußerungen getätigt, die eine fragwürdige Geschichtsdeutung transportieren und letztlich demokratisches Aufbegehren generell als kontraproduktiv verurteilen.
Schon die Formulierung der Titelfrage „Das Hambacher Fest – ein Mythos?“  klingt rhetorisch und so fällt denn auch die Antwort eindeutig aus. Das Hambacher Fest sei überschätzt, glorifiziert und „mythisch verfremdet“. Bei der Lektüre von Fenskes Ausführungen hierzu beschleicht den Leser aber das Gefühl, als betrachte der Verfasser das Fest allzu einseitig, um seine Bedeutung für die Wissenschaft und seine Popularität in der Öffentlichkeit zu schmälern. Sollte aber historische Forschung und Geschichtsschreibung nicht „sine ira et studio“ erfolgen?

 „Bei der Liberalisierung Deutschlands bewirkte Hambach einen schweren Rückschlag, einen Stillstand von acht Jahren.“

Wie in Stein gemeißelt fällt Fenske dieses Urteil als Zwischenfazit seiner Betrachtungen und geht damit weit über seinen Schlussappell hinaus, in dem er lediglich die geschichtspolitische Überhöhung des Hambacher Festes moniert. Hambach wird also nach Fenske nicht nur überbewertet, sondern wird als ein Hindernis, als ein Schaden für den Liberalisierungsprozess in deutschen Landen gesehen. Folgt man Fenskes Logik, so hätten die Liberalisierungen des März 1848 schon 1840 erreicht werden können. Und dies womöglich auch noch ohne revolutionäre Aktivitäten, weil, so suggeriert es Fenske, die wahren Liberalisierer solch kluge Köpfe wie der Freiburger Rechtsprofessor Karl von Rotteck waren, die auf ihre Obrigkeit, hier auf den badischen Großherzog in Karlsruhe hörten und dem pöbelhaften Treiben in Hambach fern geblieben waren. Fenske entwickelt ein Geschichtsverständnis, in dem politischer Fortschritt  durch einen Diskurs der politisch intellektuellen Eliten mit den Herrschenden herbeigeführt wird. Alles Volk, alles Radikale, der freie Himmel, der Marktplatz sind für Fenske das Störende; der politische Prozess findet mit Frack und Zylinder im Saale, bei Hofe, am Katheder statt. Bei Volksversammlungen hingegen werde nur ‚dummes Zeug’ geredet und sich in unangemessenen Hasstiraden gegen die Obrigkeit ergangen. Fenskes Kritik am Hambacher Fest beinhaltet eine grundsätzliche Kritik an revolutionären Bewegungen überhaupt, er kritisiert demokratisches Aufbegehren.

Urteilt ein Historiker derart vernichtend und zugleich bisherige Einschätzungen revidierend über die Bedeutung eines historischen Ereignisses, so erwartet man starke Argumente. Aber das argumentative Fundament, auf das sich Fenske stützt, wirkt nicht sonderlich tragfähig. So wirft er den Rednern von 1832 vor, sie hätten die politische und staatsrechtliche Lage nicht analysiert; nicht überlegt, ob ihre Vorstellungen überhaupt mehrheitsfähig waren und keine konstruktiven Vorschläge für eine Verfassungsentwicklung gemacht. Fenske kreidet also Kundgebungsrednern an, dass sie politische Kundgebungsreden gehalten haben und keine akademischen Vorträge. Da werden Kategorien verwechselt und es zeugt auch von politischer Naivität, Politik als eine rein rationale, emotionslose Veranstaltung einzuklagen.

Für die Beurteilung des Festes als politisch unsinniges und unwürdiges Treiben führt Fenske lediglich die Aussage „eines (sic!) Besuchers“ und die Einschätzung von Carl von Rotteck an. Bei der Erwähnung von Rottecks spekuliert Fenske lediglich, dass von Rotteck, wenn er denn nach Hambach gereist wäre, „sicher“ über die Reden „empört“ gewesen wäre und sich vielleicht „mäßigend geäußert“ hätte.

Als Maßstab für die politische Einordnung der Festredner übernimmt Fenske die Unterscheidung in „wahre Liberale“ und „Radikale“ aus der 7. Auflage des Brockhaus von 1830 und wertet die Hambacher als „Radikale“. Fenske verlässt sich also in seiner wissenschaftlichen Bewertung völlig unkritisch auf einen zeitgenössischen Kampfbegriff und schlussfolgert weiter aus der Zusammensetzung der Paulskirche, in der es jene Hambacher radikale, linke Richtung nur auf ein Fünftel der Abgeordneten gebracht hatte, dass der wahre politische Fortschritt in der deutschen Geschichte von den die 1849er Verfassung prägenden Liberalen ausgegangen ist, ergo das radikale Hambach eine überflüssige, ja störende und schädliche Erscheinung war. In der Logik würde man das einen naturalistischen Fehlschluss nennen: Hambach ist falsch, weil es sich nicht durchgesetzt hat. Geschichtstheoretisch beruht Fenskes Argumentation auf einer mechanistischen, eindimensionalen Vorstellung historischer Prozesse.

Abgesehen von der Frage, was denn ein ‚echter’ Liberaler ist, vertraten die Redner des Hambacher Festes ureigene liberale Forderungen: nämlich eine freie Verfassung, bürgerliche Freiheiten und nationale Einheit. Hinzu kommt im Falle der Pfalz die wirtschaftlich-soziale Lage der Bewohner der Region, die sich durch die bayerischen Mautgesetze und die Missernten des Jahres 1831 dramatisch verschlechtert hatte, so dass – wie etwa in Siebenpfeiffers Rede – auch ein Wegfall der Zollschranken gefordert wurde. Diese – im weitesten Sinne – soziale Thematik des Festes verschweigt Fenske.
Darüber hinaus lässt er offen, warum die bayerische Regierung wie auch der Deutsche Bund in der Folge des Festes die Veranstalter respektive die liberale Bewegung mit der ganzen Härte des Gesetzes verfolgten. Stattdessen unterstellt er den Verantwortlichen des Festes, die weitere Verschärfung der Beschränkung von Presse- und Versammlungsfreiheit verschuldet zu haben. Damit macht er Opfer zu Tätern. Zudem sollte eine ausgewogene Beurteilung des Festes auch nicht ignorieren, dass im Vorfeld des Festes der bayerische König Ludwig I. durch das Verbot des Pressvereins die Pressefreiheit bereits eingeschränkt hatte. Die Kreisregierung in Speyer hatte das Fest verboten und in diesem Zusammenhang ein Versammlungsverbot erlassen. Erst ein Einspruch des pfälzischen Landrates, ein seriöses und jeglicher radikaler oder revolutionärer Umtriebe unverdächtiges Gremium, beim bayerischen König sorgte für eine Zurücknahme des Verbotes. Versammlungsverbote und Beschneidungen der bürgerlichen Freiheiten gehörten bekanntermaßen schon lange vor dem Hambacher Fest zum Arsenal der Restauration.
Wäre schon für die Zeitgenossen, insbesondere für diejenigen, die auf der Seite von Restauration und Monarchie standen, das Hambacher Fest lediglich eine feucht-fröhliche Veranstaltung einiger Spinner und Wirrköpfe gewesen, wären die bekannten Maßnahmen gegen das Fest kaum ergriffen worden.
Sollte das Hambacher Fest tatsächlich eine derart überschätzte Angelegenheit gewesen sein, dann muss man weiter fragen, warum 20000 oder sogar noch mehr Menschen den oft beschwerlichen und weiten Weg auf sich nahmen und warum die Kreisregierung in Speyer schon im Vorfeld alles daran setzte, das Fest zu verbieten. Die staatlichen Reaktionen auf das Hambacher Fest zeigen demnach deutlich, dass es Grund genug gab, sich zu versammeln, um für Freiheit und Einheit zu demonstrieren.

Fenske neigt häufig zu pauschalisierenden Vorwürfen gegen die Redner des Festes und beschuldigt diese, keinen „angemessenen Ton“ gefunden zu haben. Er bezichtigt sie eines „hochgradigen Nationalismus“, zudem seien „Schauermärchen“ und eine „krasse Verzerrung der Realitäten“ geäußert worden. Adel und Monarchen sei voller Hass und mit Beleidigungen begegnet worden. Der Ton vieler Reden in Hambach war tatsächlich aufgebracht und empört. Das scheint aber nicht verwunderlich, vor allem dann, wenn man die Vorgeschichte, wie eben aufgezeigt, beachtet. Allein die Fairness gebietet es, darauf zu verweisen, dass auf beiden Seiten kein zimperlicher Stil verfolgt wurde.
Tatsächlich klangen vor allem in Wirths Rede deutlich nationale Töne an, die sich vor allem gegen den Nachbarn Frankreich und dessen Pläne, den Rhein zur Grenze zu machen, richteten. Nationalismus war häufig ein unmittelbarer Bestandteil liberaler, teils auch demokratischer Ideen, was nicht heißt, diese Haltung zu rechtfertigen. Nur sollte Nationalismus hier nicht als weiterer (unbewiesener) Vorwurf gegen alle Redner des Festes instrumentalisiert werden, zumal auch viele der Anwesenden, so etwa der Kreis um Schüler, mehr als nur Sympathien für Frankreich hegten und viele Teilnehmer aus dem Ausland kamen.
Schließlich stellt Fenske die Behauptung auf, Hambacher Redner hätten sich Deutschland als „weltgebietende Macht“ erträumt. Dass dies eine zentrale Hambacher Forderung darstellt, ist neu, bleibt aber ohne Beleg oder Erklärung.
Schlägt man nun nach, was die ‚Vorzeigeliberalen’ Rotteck und Welcker in ihrem „Staatslexikon“ im Artikel „Parteien“ schreiben, dann findet man Folgendes: „Mit dem Namen Liberale bezeichnet man jetzt eine in allen Ländern verbreitete Partei, welche die Volksfreiheit in dem Schutze der individuellen Freiheit gegen beschränkende Institutionen von Seiten der Regierung wie gegen die Gewalttätigkeit von Seiten der Massen sucht. … Ihre Hauptzwecke einigen sich immer in dem Streben nach einer geregelten Verfassung und nach der Beseitigung aller Hindernisse, die der vollen Entwicklung der geistigen und materiellen Kräfte des einzelnen entgegenstehen.“  Es ist kaum anzunehmen, dass Siebenpfeiffer oder Wirth dieser Definition widersprochen hätten. Dass von einigen Rednern die Forderung nach Volksbewaffnung und auch nach sofortigem Losschlagen gegen die Fürsten – also nach Gewalttätigkeit der Massen - erhoben wurde, ist bekannt. Es spricht aber – ganz im Gegenteil zu dem, was Fenske schreibt – für die Behutsamkeit der Verantwortlichen, die Bildung einer Volksvertretung mit provisorischer Regierung nicht realisiert zu haben.
Von den mittlerweile zahllosen Publikationen zum Hambacher Fest nennt Fenske unter anderem die Studie Veit Valentins. Valentin urteilt in einer Weise, die der Beitrag von Fenske vermissen lässt: Er wägt ab. Dazu folgendes Zitat: „Vieles, was in Hambach getan und gesprochen worden ist, mag man unreif, töricht, geschmacklos finden. … Es war aber gewiss nicht klug, die Volksbewegung, die in Hambach so jugendlich spontan ausbrach, einfach totzuprügeln. Weise wäre es vielmehr gewesen, dem Verlangen nach politischer Betätigung und vaterländischer Geltung Feld und Form zu schaffen. …In Hambach zeigte sich die ganze Polyphonie der sozialen Schichten des deutschen Volkes, es zeigte sich der Gegensatz von Parteien, der Wettkampf von Führern, es erscholl aus tiefer Emotion heraus der Schrei der Unterdrückten und Drangsalierten … Es wurden Ideen ausgesprochen, die unmittelbar den Weg zur Frankfurter Paulskirche wiesen, andere zeigten in eine noch viel entferntere Zukunft europäischer, menschheitlicher Gesinnung.“ 
Die Bewegung des Liberalismus im 19. Jahrhundert kann nicht als monolithischer Block gesehen werden, das war schon den Zeitgenossen bewusst und spiegelte sich in den Reden des Festes deutlich wider. Was viele Hambacher von den gemäßigten - und damit im Sinne Fenskes guten - Liberalen der Prägung Rottecks und Welckers tatsächlich trennte, waren republikanisch-demokratische Forderungen, die damals wohl nur auf revolutionärem Wege zu erreichen gewesen wären. Während die Liberalen dies ablehnten, war dieser Gedanke einigen Hambachern sicher nicht fern. Damit standen sie auf der Seite radikaler Demokraten, deren Urzelle jedoch ohne Zweifel die gleiche wie die der Liberalen ist, nämlich die Geistesbewegung der Aufklärung. 
Fenske geht es in erster Linie nicht um eine geschichtswissenschaftliche Bewertung des Hambacher Festes, sondern um die Kritik an der Mythenbildung durch die politische Inanspruchnahme zunächst durch die politische Linke und ab 1945 durch alle politischen Strömungen. So zitiert er zwar viele Reden von Politikern, es wird aber keine einzige Einschätzung von Historikern referiert (der oben zitierte Veit Valentin wird wie andere eben nur erwähnt).
Sein Lieblingsgegner ist dabei Gustav Heinemann, dem er vorwirft sich als „Geschichtslehrer der Nation“ zu gefallen und sich erdreistet zu haben, „1971 zur besten Sendezeit im Fernsehen hartes Gericht über das Kaiserreich“ zu halten. Aus Fenskes Sicht stellen Bismarcks Reichsgründungspolitik und die Verfassungen des Norddeutschen Bundes sowie die Reichsverfassung von 1871 die weitgehende Verwirklichung der liberalen Bestrebungen von 1848/49 dar. Als Kronzeugen werden für diese Sichtweise der amerikanische Präsident Grant von 1871 und der Politikwissenschaftler John William Burgeß angerufen, die in der deutschen Regierungsform viele Ähnlichkeiten mit jener der USA sehen würden. Anscheinend war ihnen entgangen, dass der Kaiser nicht gewählt wurde, dass die legislative Gewalt doch sehr begrenzt war, dass Grundrechte nicht festgelegt wurden, sondern den Ländern überlassen blieben (die Paulskirchenrechte sind dort nur zum Teil eingegangen) und dass der Schnitt der Wahlkreise, die Sozialisten extrem benachteiligte, den demokratischen Wählerwillen trotz allgemeinem und gleichem Wahlrecht gerade nicht abbildete.

Fenske, so lässt sich das Geschichtsbild, das seinem Aufsatz zugrunde liegt, zusammenfassen, sieht im 19. Jahrhundert in Deutschland einen kontinuierlichen Liberalisierungsprozess, der von klugen Köpfen und Herrschern maßvoll vorangetrieben wurde, in dem aber letztlich die Protagonisten von Hambach und ihre späteren Parteigänger radikale Störelemente darstellten.
Zwar mahnt er völlig zu Recht an, Geschichte von Geschichtspolitik zu trennen. Den Vorwurf, diese Mahnung nicht beherzigt zu haben, muss er aber sich selbst gefallen lassen, scheinen doch seine Überlegungen zum Hambacher Fest einem zu persönlichen Blickwinkel zu entspringen. Geschichtsschreibung kann sicherlich nicht losgelöst von eigenen politischen Überzeugungen erfolgen, sie sollte aber das Prinzip der Multiperspektivität berücksichtigen und dann auch Ereignisse oder Strömungen beachten und würdigen, die der eigenen Überzeugung nicht entsprechen.

  Hans Fenske, Das Hambacher Fest – ein Mythos?, in: Pfälzer Heimat Heft 2, 2007, S. 45-54.
  Karl von Rotteck/Karl Welcker, Das Staatslexikon. Enzyklopädie der sämtlichen Staatswissenschaften für alle Stände, Bd. 11, Leipzig 31864, S. 325.
  Vgl. hierzu Manfred Botzenhart, Restauration, Reform, Krise. Deutschland 1789-1847 (=Moderne Deutsche Geschichte Bd.4), Frankfurt/M. 1985, S. 122.
  Veit Valentin, Das Hambacher Nationalfest, Berlin 1932, S. 80f.
  Vgl. hierzu etwa Wolfgang Hardtwig, Vormärz. Der monarchische Staat und das Bürgertum, München 31993, S. 142 und 150.



 


 


 


 


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